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Der nachfolgende Text wurde im Heft 4/12 Off-Beat von Percussion-Creativ erstmals veröffentlicht.

Ich bitte das Copyright zu beachten. 

 

 Walter Reiter

Percussion-Ensemble – Die Anfänge in der ersten Hälfte des 20. Jh. von 1910 bis 1950

 

1. Introduction

Musik besteht im Wesentlichen aus drei Parametern: aus Rhythmus, Melodie und Harmonie. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts suchten die Komponisten nach neuen, unverbrauchten Ausdrucksmöglichkeiten. Gustav Mahler, Richard Strauss, später dann Igor Strawinski erweiterten den Schlagzeugapparat um bis dahin nicht oder nur selten eingesetzte Instrumente wie Kuhglocken, Tamtam und Gong (Gustav Mahler: 3., 5. und 6. Symphonie, Richard Strauss: Alpensymphonie, Elektra, Salome, Giacomo Puccini: Turandot), die Guiro (Igor Strawinski: Sacre du Printemps, 1913) oder eine Sirene in der Kammermusik Nr. 1 von Paul Hindemith (der solistische Xylophon-Part, so steht es in der Partitur, wird von der Piccoloflöte übernommen, wenn der Schlagzeuger den Part nicht bewältigen kann.).

 

Die Schlagzeuggruppen in den Orchestern, die bis dahin meistens aus einem Pauker und ein bis zwei Schlagzeugern bestanden, wurden größer, die Anzahl der Instrumente und der Spieler erweitert. „Die Befreiung des Schlagzeugs, aller der seltenen Instrumente, die bis dahin nur unwesentliche Zutat zur Musik waren, höchstens taktweise einmal die Stimme erheben durften, aber durchaus nicht vorlaut, die lediglich mit ihrem Geräusch unterstreichen, hervorheben, betonen sollten. Ein Orgelpunkt der Pauke, um Spannung zu steigern; ein Beckenschlag, um dem Orchestertutti ein metallisches Glanzlicht aufzusetzen; ein Trommelwirbel, um den Klang zu verdüstern; ganz sparsam ein paar grelle Spitzen des Triangels – darin erschöpfte sich die Bedeutung der Geräuscherzeuger im Sinfonieorchester, bis dann die Suche nach dem zeitgemäßen Klang anhob.“ (Fred K. Prieberg: Musica Ex Machina, Frankfurt a. M., 1960) Damit wurde ein neuer Parameter, nämlich die Klangfarbe in der Musik etabliert.

 2. Der Anfang

1918 reduzierte Igor Strawinski in der L´Histoire du Soldat radikal den gesamten Orchesterapparat auf eine kammermusikalische Besetzung. Das Ensemble umfasst Violine, Kontrabaß, Klarinette, Fagott, Trompete (Cornet), Posaune und Schlagzeug (1 Spieler). Der Schlagzeuger spielt 1 Große Trommel mit aufgeschnalltem Becken, 2 Kleine Trommeln mit und ohne Snares, 1 Militärtrommel, Triangel und Tambourin. „Strawinsky machte genaue Angaben über die Aufstellung der Instrumente sowie über die verschiedenen Schlägelarten und ihre Anwendung, die er dadurch ausdrückt, daß Notenhälse aufwärts gerichtet für die rechte, abwärts gerichtete für die linke Hand gelten. Auch Anschlagsflächen sind vorgegeben, z. B. am Rande oder in der Mitte des Fells.“ (Peinkofer/Tannigel: Vom Urklang zum Percussions-Ensemble, B. Schott´s Söhne, Mainz, 1980-81) Das Stück endet mit einem Solo des Schlagzeugers, dem ersten Schlagzeug-Solo der Musikgeschichte! Und: das Set-Up war erfunden. (Vorbild dieses Set-Ups waren die Schlagzeuge und Schlagzeuger der Dixie- und Ragtime-Bands sowie die der allmählich entstehenden Jazz-Band).

 

Zur Weltausstellung 1889 in Paris kamen Instrumente aus Asien, Japan, Kambodscha, Vietnam und die javanische Gamelan-Musik nach Europa. Deren unbekannte klangliche Vielfalt faszinierte die Komponisten der Zeit, vor allen Claude Debussy, und bald fanden sich Crotales, Gongs und Tamtams in den Partituren wieder. Zwei der wichtigsten Komponisten der „Groupe de Six“, Darius Milhaud und Arthur Honnegger, schrieben Werke, die für die Entwicklung der Schlaginstrumente von Bedeutung sind. In Les Coephores, 1915 von Milhaud für Sprech-Chor und Solo-Sprech-Stimme komponiert, unterstützen 15 Schlaginstrumente unbestimmter Tonhöhe die Sprecher. In seinem Ballet L´Homme et son désir von 1918 für Vokalquartett, 12 Soloinstrumente und Schlagzeug gibt es unbegleitete Schlagzeugpassagen, überhaupt ist der ganze Schlagzeugapparat sehr exponiert. Im gleichen Jahr schreibt Arthur Honnegger sein Ballett Le Dit du Jeux du Monde für Kammerorchester. Die Schlagzeuggruppe besteht aus vier Spielern, die zwei von zehn Tänzen alleine begleitet. Dies sind, soweit mir bekannt ist, die ersten Schlagzeug-Ensembles in der Musik. „Ein Orchester aus Schlagzeugern? Ja! Weshalb nicht? Es war ein Experiment, weil es gar nicht mehr anders ging.“ (Prieberg, a.a.O.)

Bis dahin dauerte es aber fast noch ein Jahrzehnt. In den Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstand viel „Musik über die Maschine“, als Maschinen-Musiken benannt, die ebenfalls für die Entwicklung des Schlagzeugs von Bedeutung waren. Der Einfluss der modernen Kunstrichtungen des Futurismus und Bruitismus emanzipierten das Geräusch als musikalisches Ausdrucksmittel. George Antheil schrieb 1926 sein Ballet Méchanique in dem neben Klavieren, Xylophonen, diversen Schlaginstrumenten, elektrischen Klingeln und Sirenen auch Flugzeugmotoren zu Instrumenten wurden.

 

3. Das erste Solo-Konzert und die "Ionisation".

1929 entstand dann Darius Milhauds Konzert für Schlagzeug und kleines Orchester, in dem der Schlagzeuger zum ersten Mal zum Solisten wurde. Ein Jahr später komponierte Amadéo Roldan, in Madrid geboren, in Paris ausgebildet, dann nach Kuba ausgewandert und stark von der kubanischen folkloristischen Musik beeinflusst, sechs Stücke für Kammermusikensemble mit dem Titel Ritmicas I – VI. Zwei Stücke aus dieser Reihe, die Ritmica V + VI, sind für ein Percussion-Ensemble von 11 Spielern komponiert. Es dauerte noch ein Jahr bis Edgard Varèse mit der Ionisation eines der wichtigsten und bedeutendsten Werke des 20. Jh. schuf. Damit ist die Frage Priebergs, ob es ein Orchester aus Schlagzeugern geben kann, eindeutig bejaht und das Schlagzeug-Ensemble wird - vergleichbar den bereits bekannten Kammermusik-Ensembles - endlich gleichwertig etabliert.

Varése sagte in einem Gespräch: „Wahrscheinlich verlangt die Zeit das. Auf jeden Fall weiß ich, daß ich der erste bin, der Kompositionen ausschließlich für Schlagzeug geschrieben hat. Was man davon zu erwarten hat, wie man es benutzen kann? Das Schlagzeug hat – was seine Klanglichkeit betrifft, eine Vitalität, die die anderen Instrumente nicht haben. Vor allem verfügt es über eine (...) Vielfalt, die die anderen Instrumente nicht haben.“ (zit. nach: Grete Wehmeyer: Edgard Varèse, Gustav Bosse Verlag, Regensburg, 1977) Er war streng genommen zwar nicht wirklich der erste, der ausschließlich für Schlagzeug komponierte, ohne jeden Zweifel aber schuf Varèse das erste wichtige, richtungsweisende und stilbildende Werk für Schlagzeug-Ensemble.

 

4. Amerika

Henry Cowell, der amerikanische Komponist, Musikpionier und Erfinder, war der erste, „der das Klavier mit den Fäusten, mit den Unterarmen spielte, (...) der im Inneren des Klaviers spielte und überlegte verschiedene Objekte auf die Saiten zu legen“ (John Cage: Für die Vögel, Merve Verlag, Berlin, 1984). Er unterrichtete an der New School for Social Research die Fächer Moderne Harmonielehre, Überblick über zeitgenössische Musik und Musik der Völker der Erde. In seinem Umfeld und aus dem Zusammenschluss verschiedener Komponisten in der New Music Society entstanden die nächsten Kompositionen für Percussion-Ensemble: Von William Russell (1905-1992) March Suite, Three Dance Movements und Fugue for eight Percussion Instruments, von John Becker (1886-1968) Abongo, von Johanna Magdalena Beyer (1888-1944) Percussion Suite (alle 1933 komponiert) sowie Ostinato Pianissimo von Henry Cowell aus dem Jahr 1934.

 

4.1. John Cage

John Cage, später einer der bedeutendsten Komponisten des 20.Jh., war zu dieser Zeit Schüler von Henry Cowell und Arnold Schönberg. Er komponierte zwischen 1935 und 1943 fünfzehn Werke für Schlagzeug, die er mit einem eigenen Ensemble auch aufführte. Diese Kompositionen werden bis heute immer wieder von Schlagzeug-Ensembles gespielt und sind zu bedeutenden Werken dieses Genres geworden. Genannt seien hier das Quartett (1935), die First, Second und Third Construction (1939-41), die Living Room Music (1940) und Amores (1943) für präpariertes Klavier und Schlagzeug. Die Rahmensätze von Amores werden auf einem präparierten Klavier gespielt und erinnern sehr an den Klang eines Gamelan-Orchesters. Die beiden Mittelsätze werden von Schlagzeugern gespielt. Vor allem aber die Living Room Music, Musik für ein Wohnzimmer, mit ihrer neuen ungewohnten Klanglichkeit wird immer wieder gespielt und wurde zur Folie vieler nachempfundener Kompositionen, deren musikalische Qualität von Ausnahmen abgesehen jedoch nie an das Original herankamen.

 

 

4.1. Cage, Harrison und die Anderen

 

John Cage führte mit seiner Gruppe auch die Werke seiner Komponistenkollegen Amadéo Roldan, José Ardevol, William Russel und Lou Harrison auf. Harrison schrieb zwischen 1939 und 1942 zwölf Werke für Percussion-Ensemble, die bis heute zum Standardrepertoire der Musik für Schlaginstrumente gehören, und 1941 gemeinsam mit John Cage die Double Music for Percussion Quartett. Cage und Harrison komponierten von 1935 bis 1943 insgesamt 27 Werke für Schlagzeug.

 

Wurden in der unmittelbaren Nachfolge der Ionisation überwiegend Werke mit großer Besetzung von acht bis fünfzehn Schlagzeugern geschrieben, so reduzierten John Cage und Lou Harrison die Ensembles wieder auf kleinere Besetzungen. Die 1942 komponierte Toccata für 6 Percussionisten von Carlos Chavèz (1899-1978) ist ein weiteres wichtiges Werk, das hier erwähnt werden muss. Es konnte von der Gruppe um John Cage, für die es komponiert wurde, jedoch nicht aufgeführt werden. Cage schrieb in einem Brief: „He (Chavez) used conventional percussion techniques (particularly rolls) which my players could not perform. I am glad that the piece was written, grateful that he did it, and have always been sad that we were unable to present it.“ (zit. nach: Stephen L. Fulton: Hearing History: Musical Borrowing In The Percussion Ensemble Works etc., Dissertation,  University Of North Texas, 1999)

 

Ein weiteres wichtiges, weitaus traditionelleres, spieltechnisch jedoch anspruchsvolles Werk entstand 1937. Die Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug von Bela Bartok wurde vom Komponisten und seiner Frau an Klavieren und mit zwei Schlagzeugern im gleichen Jahr in Basel uraufgeführt. Interessanterweise entstanden in dieser Zeit in der Europa keine neuen Kompositionen für Schlagzeug-Ensemble mehr. In Amerika hingegen entwickelten die Komponisten aus dem Umfeld von Henry Cowell, der New Music Society (Cage, Harrison, Beyer), der International Composers Guild (Varèse), der Pan American Association for Composers (Cowell, Varèse) und der American Composers for American music „ideas about the use of percussion and the future of it.“( Hall, Jim R.: Development of The Percussion Ensemble through the contributions oft he Latin American composers  Amadeo Roldán, José Ardévol, Carlos Chavéz, and Alberto Ginastera, Diss., The Ohio State University 2008)

Dies ist umso erstaunlicher, als diese Komponisten oft bei Lehrern aus der „alten“ Welt wie Arnold Schönberg, Ernst Toch und anderen ausgebildet wurden, aber trotzdem oder gerade deshalb eine vollkommen neue musikalische Sprache suchten und erfanden. War die Vereinfachung der Tonsprache, die Reduktion auf rhythmische Strukturen, die Inspiration durch ethnische Musiken eine Reaktion auf die Komplexität der Zwölftonmusik der sogenannten Zweiten Wiener Schule? So wie die Minimalmusik dreißig Jahre später eine Reaktion auf die Modelle des Serialismus der Darmstädter Schule war? Edgard Varèse schien es vorauszusehen und hat mit der Ionisation ein Schlüsselwerk der Musik des 20. Jh. geschrieben und so das Schlagzeug-Ensemble in der Musik, in der Kammermusik und damit im Herzen der Musik etabliert.

 

5. Conclusion

In der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg entstanden keine wichtigen Werke mehr für Schlagzeug-Ensemble, die noch Eingang in den Werkekanon gefunden haben. Darius Milhaud schrieb 1947 ein Concert pour Marimba et Vibraphon et Orchèstre. Erst in den 50er/ 60er Jahren entstanden wieder wichtige Kompositionen für Schlagzeug-Ensemble von Komponisten wie z.B. Iannis Xenakis und Steve Reich.